Früher war es klar: Wer eine E-Gitarre aufnehmen wollte, brauchte einen Gitarrenverstärker und ein Mikrofon. Heute gibt es dank digitaler Audiobearbeitung einige Möglichkeiten mehr, die auch für Anfänger viel günstiger zu realisieren sind.
Dank moderner Audio-Interfaces brauchst du keinen Gitarrenverstärker und kein Mikrofon mehr – du kannst deine E-Gitarre direkt an dein Interface anschließen und einen Verstärker in deiner DAW simulieren.
In diesem Artikel werde ich die 3 üblichen Methoden erklären, wie man E-Gitarren heutzutage aufnimmt, egal ob zu Hause, im Home-Studio oder im professionellen Tonstudio:
- E-Gitarre an Verstärker anschließen und mit Mikrofon aufnehmen (klassische Methode)
- E-Gitarre direkt an das Audio-Interface anschließen und Amp in der DAW simulieren (low budget)
- E-Gitarre über ein Multi-FX-Pedal aufnehmen
Man kann mit allen 3 Methoden sehr gute, professionelle Ergebnise erzielen. Aber meiner Meinung nach (und der von vielen anderen Tontechnikern) produziert ein echter Verstärker immer noch einen besseren Klang als die ganzen Simulationen. Das liegt vor allem an 2 Aspekten.
Zum einen erzeugen echte Röhren in einem Verstärker eine Verzerrung, die digital nur sehr schwer nachgebildet werden kann. Die Röhren geben dem Sound viele Obertöne und einen satten Klang, der ziemlich einzigartig ist. Das ist der Grund, warum die besten Bands der Welt wie Metallica, AC/DC oder Green Day immer noch mit echten Verstärkern aufnehmen, besonders in den Bereichen Rock, Heavy und Metal (also dort, wo die Gitarre sehr verzerrt klingen muss). Bei unverzerrter Musik sind die Unterschiede zwischen echten und digitalen Verstärkern weniger deutlich.
Der zweite Aspekt ist, dass man mit einem Verstärker + Mikrofon analoge Schallwellen aufnimmt – das heißt, die Luft bewegt sich vor dem Mikrofon. Das ist genau das, was passiert, wenn wir Musik hören. Daher klingt es für unser Ohr natürlicher, wenn wir einen echten Verstärker mit einem Mikrofon aufnehmen, weil die Physik des Prozesses die gleiche ist wie in unseren Ohren.
Damit will ich nicht sagen, dass eine Methode absolut besser ist als die andere – nein, jede Methode hat ihre Stärken und Schwächen und ist für unterschiedliche Umgebungen und Situationen gedacht. Im Folgenden werde ich jede Methode im Detail erläutern und ihre Vor- und Nachteile aufzeigen, sodass jeder den für ihn am besten geeigneten Aufnahmeprozess finden kann.
Aufnahmemethode 1: Gitarrenverstärker + Mikrofon
Bei dieser Methode wird ein Mikrofon (normalerweise ein dynamisches Mikrofon) vor dem Gitarrenverstärker platziert, um den direkten Klang des Verstärkers aufzunehmen.
WAS DU DAFÜR BRAUCHST
- E-Gitarre
- Gitarrenverstärker (Combo, oder Amp + Cab)
- Mikrofon
- Digitale Aufnahmemöglichkeit
VORTEILE
- Bestmögliche Klangqualität
- Einfache Klanggestaltung durch verschiedene Mikrofonpositionen
NACHTEILE
- Das Material ist teuer in der Anschaffung (Verstärker + Mikrofon)
- Die Methode ist laut, also vielleicht nicht für jeden zu Hause geeignet
- Wenig Flexibilität: Ist die Gitarre einmal aufgenommen, kann der Verstärkersound nicht mehr nachträglich verändert werden
Man kann auch zwei Mikrofone verwenden und sie dann kombinieren, um verschiedene Klangfarben zu erhalten. Ich benutze immer zwei Mikrofone, ein dynamisches und ein Kondensatormikrofon (Shure SM57 + Neumann U87Ai).
Das Kondensatormikrofon nimmt mehr Bässe auf und gibt der E-Gitarre einen etwas dunkleren und volleren Klang, während das SM57 dafür sorgt, dass die Gitarre in den Mitten gut durch den Mix durchkommt.
Die Kapsel des Mikrofons sollte direkt vor dem Lautsprecher liegen, und ein wenig außerhalb des Zentrums gerichtet sein. Wenn das Mikrofon direkt in den Zentrum des Lautsprechers zeigt, dann klingen die mittelhohen Frequenzen etwas zu hart und unangenehm.
Ein alter Trick, um den Lautsprecher des Gitarrenverstärkers durch das Gitter sehen zu können, ist die Verwendung einer Taschenlampe (die vom Handy reicht aus). Wenn man sie ganz nah an das Gitter hält, kann man den Lautsprecher gut sehen, um das genau Mikrofon zu platzieren (siehe hier, erstes Foto).
Je näher das Mikrofon am Lautsprecher ist, desto basslastiger wird der Klang durch den Nahbesprechungseffekt. Das ist weder gut noch schlecht – je nach gewünschtem Klang kann man diese Eigenschaft zu seinem Vorteil nutzen.
Wenn kein akustisch optimierter Raum zur Verfügung steht, sollten unbedingt dynamische Mikrofone verwendet werden, die sehr nah am Lautsprecher platziert werden, um so wenig wie möglich vom Raum aufzunehmen. Der Verstärker ist in der Regel so laut, dass die Reflexionen gar nicht zu hören sind.
Wichtig: Der Sound des Verstärkers spielt hier eine sehr wichtige Rolle, da er nach der Aufnahme nicht mehr verändert werden kann. Du kannst natürlich nachträglich EQs oder andere Effekte einsetzen, aber der Grundsound bleibt der gleiche. Du kannst also nicht verzerrt aufnehmen und später beim Mixing auf clean umschalten.
Deshalb sollte man sich vor der Aufnahme viel Zeit nehmen, um den Klang des Verstärkers einzustellen. Es lohnt sich, einige Probeaufnahmen mit verschiedenen Klängen zu machen, um sie später zu vergleichen und den besten Klang auszuwählen.
Welches ist das beste Mikrofon, um E-Gitarren aufzunehmen?
Das Standardmikrofon für E-Gitarre schlechthin ist das Shure SM57 – es wird in 80% der Fälle verwendet. Es hat einen Sound, der sich sehr gut für E-Gitarren über Gitarrenverstärker eignet, egal ob clean oder verzerrt. Und das Beste ist, dass dieses Mikrofon sehr preiswert ist, denn es kostet nur etwas mehr als 100 €.
Weitere beliebte dynamische Mikrofone für die Aufnahme von E-Gitarren mit Gitarrenverstärkern sind das Sennheiser MD-421 und das Sennheiser E906. Beide Mikrofone liefern einen etwas volleren Bass als das Shure SM57.
Wenn man zusätzlich (oder anstatt) ein Kondensatormikrofon verwenden möchte, ist man hier ziemlich frei in der Wahl, da alle Kondensatormikrofone einen sehr breiten Frequenzgang haben. Du kannst hier Mikrofone wie das Rode NT1A, die Neumann TLM-Serie oder die AKG C-Serie verwenden, die alle sehr gut und natürlich klingen. Ich selber verwende den Neumann U87Ai oder den Rode NT1A.
Bändchenmikrofone sind auch für die Aufnahme von Gitarrenverstärkern sehr beliebt, da sie einen wärmeren Klang mit mehr Obertönen als andere Mikrofontypen liefern. Sie benötigen keine Phantomspeisung und sind leiser als Kondensatormikrofone oder dynamische Mikrofone.
Allerdings haben diese Mikrofone oft die Richtcharakteristik „Acht“. Das bedeutet, dass sie den Bereich vor und hinter dem Mikrofon aufnehmen. Wenn dein Raum nicht akustisch optimiert ist, wird ein Bändchenmikrofon schlecht klingen, weil es zu viele Reflexionen aufnimmt. In diesem Fall sind dynamische Mikrofone vorzuziehen.
Beliebte Bänchenmikrofone für diesen Zweck sind der beyerdynamic M160, der Royer Labs R-121 und der t.bone RB 100.
Wie bereits erwähnt, ist es am besten, zwei verschiedene Mikrofontypen gleichzeitig zu verwenden, um später viele Kombinationsmöglichkeiten und entsprechende Klangfarben zu haben. Wenn man z.B. ein dynamisches und ein Bändchenmikrofon verwendet, kann man später im Mix entscheiden, ob die E-Gitarre wärmer (mehr Lautstärke im Bändchenkanal, weniger im dynamischen Kanal) oder natürlicher (mehr Lautstärke im dynamischen Kanal, weniger im Bändchenkanal) klingen soll.
Aufnahmemethode 2: Gitarre an das Interface anschließen
Wenn du über ein Audio-Interface und eine DAW verfügst, kannst du deine E-Gitarre einfach und unkompliziert aufnehmen, indem du sie direkt an dein Interface anschließt und eine Amp-Simulation in deiner DAW verwendest.
WAS DU DAFÜR BRAUCHST
- E-Gitarre
- Audio-Interface
- DAW
VORTEILE
- Günstig, da wenig Equipment erforderlich ist
- Hohe Flexibilität – man kann den Klang des Verstärkers im Nachhinein komplett verändern oder sogar einen anderen Verstärker wählen
- Leise – man kann sogar nur mit Kopfhörern aufnehmen, um die Nachbarn nicht zu stören
NACHTEILE
- Bei stark verzerrter Musik klingen die Amp-Simulationen hörbar schlechter als die echten Verstärker
Die Vorteile sind zahlreich: mehr Flexibilität bei der Auswahl der Sounds beim Mischen, die Möglichkeit, nur mit Kopfhörern aufzunehmen, und vor allem die Kosten – man muss nicht 1000 € für einen Verstärker + 100 € für ein Mikrofon ausgeben.
Der einzige Nachteil ist der etwas schlechtere Klang im Vergleich zu einem echten Verstärker. Bei cleanen Aufnahmen macht sich der Unterschied kaum bemerkbar, vor allem wenn die anderen Instrumente dazu gemischt werden. Aber in Genres wie Rock oder Metal klingt die E-Gitarre mit Simulation etwas „billig“ und „leblos“, besonders bei Gitarrensolos.
Die Verwendung einer DI-Box ist nicht zwingend notwendig – alle modernen Interfaces können mittlerweile mit Instrumenten-Pegal arbeiten – aber empfehlenswert. Es gibt sehr gute DI-Boxen, die den Sound in solchen Situationen noch etwas verbessern können. Wenn du also dauerhaft ohne Verstärker und Mikrofon aufnehmen willst, ist eine gute DI-Box eine Überlegung wert.
Ich persönlich benutze die Summit Audio TD-100, eine relativ wenig bekannte Röhren-DI-Box, die einen tollen Sound liefert. Wenn ich mit einem Gitarrenverstärker und einem Mikrofon aufnehme, benutze ich auch ab und zu diese DI-Box, um später noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Kann ich nur empfehlen!
Es gibt mittlerweile so viele Amp-Simulationsplugins, dass man einen ganzen Artikel darüber schreiben könnte. Auch die meisten DAWs haben mittlerweile Stock-Plugins, die Amps simulieren, sodass man streng genommen kein zusätzliches VST-Plugin braucht. Wenn man es aber ernst meint, gibt es einige Premium-Optionen, die etwas Geld kosten, aber sehr empfehlenswert sind. Hier sind meine Favoriten:
- Mein absoluter Favorit: Native Instruments Guitar Rig
- IK Multimedia AmpliTube 5
- Line 6 Helix Native
Passend dazu: E-Bass aufnehmen: Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung
Aufnahmemethode 3: Ein Multi-FX-Pedal verwenden
Viele Gitarristen, vor allem junge, sehen heute nicht mehr die Notwendigkeit, einen Gitarrenverstärker zu kaufen und greifen aus praktischen Gründen zu Multi-FX-Pedalen, die umfangreiche Amp-Simulationen bieten. Solche Geräte wie der Line6 Helix Guitar Processor, der Neural DSP Quad Cortex oder der Boss GX-100 eignen sich auch hervorragend für die Aufnahme von E-Gitarren und bieten dafür meist auch einen XLR-Ausgang mit Mikrofonpegel.
WAS DU DAFÜR BRAUCHST
- E-Gitarre
- Multi-FX-Pedal
VORTEILE
- Praktisch, wenn man bereits einen Multi-FX-Pedal hat
- Viel Flexibilität
- Du kannst genau die gleichen Sounds wie im Studio auch live verwenden
- Leise – man kann sogar nur mit Kopfhörern aufnehmen, um die Nachbarn nicht zu stören
NACHTEILE
- Bei stark verzerrter Musik klingen die Amp-Simulationen hörbar schlechter als die echten Verstärker
Wenn du bereits über ein solches Gerät verfügst, kannst du sofort loslegen und genau die Sounds verwenden, die du bereits vorprogrammiert hast. Der Klang von solchen Pedalen ist meistens etwas besser als das der (billigen) Plugins, und es kommt wirklich sehr nah an einem echten Verstärker.
Ich habe manche Gitarristen bei mir im Studio gehabt, die ein solches Gerät hatten, und ich mich wirklich gewundert habe, wie gut sie klingen. Bei hochwertigen Geräten wie der Neural DSP Quad Cortex ist es wirklich sehr schwer vom echten Amp zu unterscheiden. Aber er kostet ja auch mehr als manche Amps!
Du kannst entweder den Main-Ausgang des Pedals mit einem XLR-Kabel an dein Interface anschließen oder das Pedal per USB direkt an deinen PC anschließen – denn solche Pedale funktionieren auch als Audio-Interface, weil sie AD-Wandler haben.
Diese Methode ist also sehr praktisch und einfach und erfordert wenig Equipment – allerdings sind diese Multi-FX-Pedale sehr teuer in der Anschaffung. Wenn man sie für Gigs braucht, sind sie es wert, aber für reine Studioaufnahmen würde ich lieber 1500€ in einen richtigen Verstärker + ein Shure SM57 investieren. Vor allem, wenn ich sehr viel Wert auf Verzerrung lege.
Fazit
Je nachdem, welches Equipment du bereits hast und wie deine Abhörsituation ist (kannst du im Studio laut hören? Auch nachts?), ist die eine oder andere Methode besser geeignet. Wenn du schon ein gutes Multi-FX-Pedal für Live-Gigs hast, würde ich damit anfangen. Oder wenn du bereits einen guten Verstärker hast, dann ist es am günstigsten, einfach ein Shure SM57 zu kaufen und damit aufzunehmen.
Wenn du dann das Problem hast, dass deine Nachbarn gestört werden, kannst du für deinen Verstärker eine Isolationsbox kaufen, damit du trotzdem mit hoher Lautstärke aufnehmen kannst, ohne jemanden zu stören. Dazu eignet sich die Isolationsbox von Grossman Audio oder das Clearsonic Amp Shield sehr gut.
Hier findest du weitere detaillierte Anleitungen zur Aufnahme im Home Studio: